Bockhorn Es ist kühl in der Turnhalle der Grundschule Bockhorn im Friesland. Auf dem Boden liegen dünne, rutschfeste Matten in himmelblau. Klassische Musik ertönt aus Lautsprechern in der Hallendecke. O Fortuna, ein Chorsatz aus der Kantate Carmina Burana von Carl Orff. Spärlich fällt Licht hinein. Es ist ein nassgrauer Sonntag im Januar.

Auf den Matten sind Jörg (50) und seine Frau Silke Auffarth (44), Moritz Roth (27), Malin Nebel (31) und Jan-Niklas von Minden (24) beim aufwärmen. Sie dehnen sich ausgiebig. Immer wieder setzen sie sich dabei auf den Boden, um ihre Muskulatur noch besser und in alle Richtungen zu strecken.

Die fünf Sportler aus dem Friesland und dem Ammerland sind die Karateka der „Blackbelt Artists“, die Künstler mit dem schwarzen Gürtel. Sie vereinen Karate mit klassischer Musik.

Und sie wirken gleich auf den ersten Blick wie eine Einheit: Alle fünf Athleten tragen graue und blaue Sportkleidung, enge Tights. Nur Jan-Niklas von Minden hat sich für eine kurze Shorts entschieden. Bereits beim Aufwärmen herrscht hohe Konzentration. Jörg und Silke Auffarth studieren gemeinsam mit Malin Nebel kurze Einheiten ein. Schon während dieser Sequenzen herrscht große Synchronität. Nur manchmal gibt es noch Abspracheprobleme und kleine Unsicherheiten, wer wo steht. Kurze Absprachen und das ein oder andere Schmunzeln helfen über diese Punkte hinweg.

Seit eineinhalb Jahren besteht das Team in dieser Formation. Mit einer Choreographie zum „Feuervogel“, eigentlich einem Ballett in zwei Akten mit der Musik des russischen Komponisten Igor Strawinsky, ist es Teil der großen Show „Classic meets Pop“, die im März in der Oldenburger EWE-Arena zu sehen ist.

Rückblick. Angefangen haben die „Blackbelt Artists“ vor rund drei Jahren. Damals hatten Dirigent und Regisseur Christoph Hagel und Jörg Auffarth die Idee. „Alles hat in Berlin angefangen“, erzählt der 50-Jährige. „Wir wollten Karate zu klassischer Musik zeigen.“ Schnell war eine erste Mannschaft aus aktiven Karateka aufgestellt.

Aber: „Sie waren alle zu sehr in ihren Meisterschaften eingebunden“, erinnert sich der amtierende drittplatzierte der Deutschen Meisterschaften, Ü 45. So sei man auf die Idee gekommen, ein Team vor Ort im Friesland aufzubauen. „Jetzt kommen alle vom JV Bockhorn oder Karate-Do Rastede“, sagt Jörg Auffarth.

2017 folgte die erste große Aufführung auf einer Freilichtbühne bei der Internationalen Gartenausstellung in Berlin – und wurde sofort ein Erfolg. „Christoph Hagel wollte eine Tour daraus machen. Er ist unser Produzent und Förderer.“ So entstand die Show „Dancin’ Carmina“ nach der Kantate Carmina Burana. 2018 traten die „Blackbelt Artists“ unter anderem im Prinzregententheater München, in der Meistersingerhalle Nürnberg und in der Berliner Philharmonie auf.

Weitere Anfragen kamen – und so treten die Sportler im März mit einer ganz neuen Show in Oldenburg auf. Dort wollen die Karateka zum ersten Mal ihre neue Version des „Tanz des Kaschei“ aus dem Ballett „Der Feuervogel“ von Igor Strawinsky zusammen mit dem Oldenburgischen Staatsorchester bei „Classic meets Pop“ zeigen.

Neue Choreographie

Die Athleten stehen angespannt auf dem blauen Mattenteppich. Nach einigen kürzeren Vorführungen steht nun die neue Choreographie an. 4:50 Minuten dauert die Aufführung. Bei den Trägern des Schwarzen Gürtels ist Höchstkonzentration gefordert. Die Muskeln sind angespannt, in den Augen ist die Intensität zu sehen. Trotzdem folgen die Sportler der Musik mit einer Leichtigkeit als seien der Tanz mühelos und die Anstrengung nicht vorhanden.

Die Musik verklingt und Jörg Auffarth wischt sich den Schweiß von der Stirn. Alle atmen schwer, eine kleine Pause steht an.

„Wir haben uns oft in die Halle gesetzt und die Musik angehört“, erzählt Malin Nebel von den Anfängen des neuen Tanzes. Gemeinsam überlegten sie, welche Schritte und Bewegungen passen würden. „Wir haben viel probiert, verworfen, neu probiert und wieder verworfen“, sagt Silke Auffahrth. Sie filmten Szenen, schickten sie an Christoph Hagel – und durften wieder einiges ändern. „Es war ein langer Prozess“, sagt Jörg Auffarth lachend. „Unser Anspruch ist sehr hoch.“

Das Schwierige: „Es ist ein ganz anderer Rhythmus als der, den wir kennen.“ Manchmal geht den Sportlern die Musik auch während der Arbeit durch den Kopf oder sie träumen davon. „Wir müssen uns finden“, sagt der Träger des Schwarzen Gürtels. Das Training finde jedes Wochenende statt – zusätzlich zu den normalen Karate-Einheiten. Vor Tourneen erhöhe sich die Intensität mit zusätzlichen Proben und Workshops noch einmal. Und auch vor Ort werde Zeit eingeplant. Denn auch die Synchronisation zur Live-Musik nehme Zeit in Anspruch: „Die Musiker spielen mal langsamer und mal schneller“, sagt Jörg Auffarth. In München sei bei einem Auftritt beispielsweise die Trompete ausgefallen: „Viele von uns zählen nicht, sondern hören auf die Musik und planen die Einsätze nach Schlüsselstellen“, erklärt Malin Nebel. Es sei nicht wie beim Ballett oder anderen klassischen Tanzarten.

„Als Kind bei Ballett“

„Vor drei Jahren hätte wirklich niemand von uns gedacht, mal etwas mit klassischer Musik zu machen“, sagt Silke Auffarth. „Als Kind habe ich Ballett gemacht“, erzählt die 44-Jährige. Eine Zeit lang habe sie beide Sportarten parallel verfolgt – und sich schließlich für Karate entschieden. „Das war meins“, sagt sie.

Nun hat sie wieder Anknüpfungspunkte an die Musik: „Wir genießen das einfach“, sagt Silke Auffarth. Unterstützung gebe es dabei auch vom Deutschen Karate-Verband. „So können wir Karate auch mal anderen zeigen und demonstrieren, dass es auch kulturell hochwertig sein kann“, sagen die Sportler.

Die Karateka stehen wieder auf der Matte. Der nächste Tanz steht an. Konzentriert wartet die Gruppe auf die ersten Töne, um erneut mit der Musik zu verschmelzen.

 

-Ellen Kranz, Nordwest-Zeitung


"... Dazu schleuderten die Karateka Powerschläge durch die Luft, die ganz ohne Berührung zierliche Ballettschwäne niedersäbelten. Ihre dynamitartig gesteuerte Bewegungsqualität veranschaulichte Orffs aggressive Grundrhythmen bestens."
"... Die Muskeln sind angespannt, in den Augen ist die Intensität zu sehen. Trotzdem folgen die Sportler der Musik mit einer Leichtigkeit als seien der Tanz mühelos und die Anstrengung nicht vorhanden."